Die Zähmung des Krieges

Zum Essay von Dirk Kurbjuweit, Magazin Der Spiegel Nr. 27

Dirk Kurbjuweit hat im Spiegel Nr. 27 vom 5.7.2010 einen bedenkenswerten Essay „über das schwierige Verhältnis von der Demokratie und Krieg" geschrieben unter dem Titel „Die Zähmung der Bestie". Darin behauptet er: „Die deutsche Friedensbewegung dagegen hat den Satz erfunden: Lieber rot als tot. Mit diesem Satz hat der Pazifismus die Demokratie verraten".

Ich habe keine Quellenforschung betrieben, woher dieser Satz kommt. Ich habe ihn Anfang der sechziger Jahre im Ost-West-Konflikt so verstanden, dass die zivile Verteidigung als Alternative zum Atomkrieg immerhin eine Perspektive öffnet für Demokratie und Freiheit. So ist es ja auch später gekommen: Die zivile Revolution in der DDR wurde unter den Bedingungen einer „roten Diktatur" erkämpft – ohne Krieg und Gewalt. Es ging und geht den Friedensbewegten gerade nicht darum, Demokratie und Freiheit einfach aufzugeben, sondern sie anzuwenden.

Kurbjuweit beschreibt dann, dass ohne Pathos der Tod im Krieg nicht zu ertragen ist. „Gerade wenn ein jüngerer Mensch stirbt, muss ein höherer Sinn her, sonst gibt es keinen Trost." Für diesen Trost hat sich die Kirche und insgesamt die Religion immer wieder zur Verfügung gestellt. Allerdings gelingt dieses Pathos im Afghanistan-Krieg immer weniger, da kaum jemand vom Sinn des Einsatzes wirklich überzeugt ist. Fragt man aktive Soldaten, die in Afghanistan kämpfen, dann antworten sie auch meistens mit sehr zivilen Begründungen: Vorteile im Beruf und weitere Karrierechancen. Keiner hat mehr die hehren Ziele Demokratie und Freiheit genannt, die in Sonntagsreden beschworen werden. Von daher ist es fatal, eine Gleichung aufzumachen wie bei Kurbjuweit: „Die Bundesrepublik gibt ihren Bürgern so viel, dass sie auch Opfer mancher ihrer Bürger erwarten darf." Dieser Satz ist doppelt falsch. Nicht die Bundesrepublik gibt etwas, sondern die Bürger gestalten die Bundesrepublik. Es geht nicht um „Opfer", sondern um töten und getötet werden. Dies kann allenfalls in Notwehr geschehen. Diese ist aber nicht in Afghanistan gegeben. Wenn der Autor die Rechnung aufmacht: „Dass, was Afghanistan jetzt ist, ist immer noch besser als das, was es war" – dann unterschlägt er, dass es auch andere Einwirkungsmöglichkeiten gibt.

Ein starkes Stück ist die Behauptung „nun sterben deutsche Soldaten in Afghanistan, aber im Land der Friedensbewegungen gibt es keine Friedensbewegung." Abgesehen davon, dass eine im Bundestag vertretene Partei schlicht ignoriert wird, die schon lange den völligen Abzug fordert, sind auch die verschiedenen Friedensgruppen durchaus aktiv. Sie haben aber mit dem Vorwurf zu kämpfen, dass sie „unseren Soldaten" in den Rücken fallen. Darum halten sich viele mit Kritik zurück. Gerade der ethische Pazifismus hat sich gegen Aufrechnungen immer gewehrt. Bereits ein Toter ist einToter zuviel. Und wenn es der Sohn des Autors wäre, würde dieser wahrscheinlich schnell zustimmen. Aber die Angehörigen derjenigen, die umgekommen sind, haben meistens keine Stimme. Nach der Trauerfeier lässt man sie allein. Dies gilt auch für die verletzten und traumatisierten Soldaten, die zutiefst verstört aus diesem Krieg zurück kommen. Zustimmen kann ich dem Autor, dass dieses Thema in die Wahlkämpfe gehört. Da würde ich es persönlich allerdings bedauern, wenn die aus verschiedenen Gründen zu kritisierende Partei „Die Linke" die einzige Partei im Bundestag wäre, die den Krieg in Afghanistan kompromisslos ablehnt. 

Bezeichnend ist, dass in dem Essay die kirchlichen Debatten überhaupt nicht vorkommen. Das mag der Arroganz der Spiegel-Redakteure geschuldet sein. In der Bevölkerung sieht es hingegen anders aus. Deswegen bemühen sich die Politiker auch so sehr, die Diskussion in den Kirchen mitzubestimmen.
16.7.2010