Fantasie für den Frieden

Neues Buch von Margot Kässmann

Mit ihrer Neujahrspredigt zur Jahreslosung in der Dresdner Frauenkirche eröffnete Margot Kässmann eine längst fällige Diskussion über den Sinn militärischer Einsätze. Es ist zu hoffen, dass auch diejenigen, die damals einen Sturm der Entrüstung entfacht haben, nun nicht zuletzt bestärkt durch die jüngsten Ereignisse in Afghanistan zu einer besseren Einsicht gelangen. Allerdings treten Chefredakteure in der Regel nicht wegen ihrer Missgriffe zurück.


In dem geschmackvoll eingebundenen Buch wird zunächst einmal die Predigt vollständig abgedruckt, die sich ja nur in wenigen Sätzen mit dem Thema Afghanistan beschäftigt. Der berühmte Satz „Nichts ist gut in Afghanistan." ist keineswegs isoliert zu verstehen, sondern im Kontext einer Auseinandersetzung mit den beruhigenden Sprüchen wie „Alles wird gut!". Gegenüber dieses falschen „Religion" setzt Margot Kässmann die Aufklärung des Evangeliums: Nichts ist gut in Sachen Klima oder nichts ist gut an der Armut im eigenen Land oder nichts ist gut mit der Atmosphäre der Gnadenlosigkeit. Leider ist diese im besten Sinne fromme Rede im darauf folgenden Medienecho völlig untergegangen.

In einem zweiten Teil begründet Kässmann, „warum nicht alles gut ist in Afghanistan". Sie setzt sich ernsthaft mit ihren Kritikern auseinander und besticht durch gründliche kirchengeschichtliche und politische Analyse. Dabei setzt sie das um, was die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schon lange in ihren Denkschriften formuliert hat. Militärische Gewalt sei nur dann in engen Grenzen vertretbar, wenn sie klar dem zivilen Aufbau dient. Sie wehrt sich berechtigterweise gegen den Vorwurf, den kämpfenden Soldaten in den Rücken zu fallen. Umgekehrt ist richtig: Verantwortungslose und arrogante Politiker setzen das Leben dieser Soldaten aufs Spiel. Kässmann nimmt manche Gedanken auf, die in der ökumenischen Dekade „Gewalt überwinden" erarbeitet worden sind. Es ist allerdings beschämend, wie wenig an der Basis davon angekommen ist. So gibt es jedes Jahr eine detaillierte Kritik der großen Kirchen an der expansiven Rüstungsexportpolitik. Doch wer nimmt sie zur Kenntnis? Kässmann belegt mit Zahlen, wie wir Deutschen an den Kriegen dieser Welt verdienen. Wichtiger ist ihr aber „das Friedenspotential von Religionen". Sie erwähnt dabei Fallstudien von Markus Weingardt (veröffentlicht unter dem Titel RELIGION MACHT FRIEDEN, Kohlhammer Verlag Stuttgart 2007). Wer die vierzig Beispiele aus aller Welt liest, bekommt Belege für real umgesetzte Fantasie für den Frieden. Gegenüber dem oft vorgebrachten Argument, dass es ja nicht zuletzt um die Lage der Frauen in Afghanistan gehe, zitiert sie von Malalai Joya „Ich erhebe meine Stimme". Dort wird belegt, dass sich die Frauen heute in einem schlechteren Zustand befinden als vorher. Sinnvoller als militärische Gewalt wären zivile Maßnahmen: Das Abbrechen der Geldströme, die Rüstung und Terror finanzieren; eine Unterbindung des Drogenhandels; ein internationales Abkommen über den Waffenhandel, Erziehung zur gewaltfreien Konfliktlösung und anderes.

Das Buch schließt mit dem Wort der EKD vom 25.1.2010 zu Krieg und Frieden in Afghanistan „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen". In nüchterner Sprache bestätigen die Fachleute der Kirche: 
1. Eine umfassende Bestandsaufnahme der Lage unter Beteiligung der zivilen Hilfsorganisationen ist dringend nötig.
2. Zivile Anstrengungen sollen den Vorrang bekommen.
3. Die ersten Erfolge des zivilen Aufbaus sind zu sichern.
4. Die Arbeit der zivilen Friedenskräfte ist qualitativ und quantitativ zu verbessern.
5. Die afghanische Bevölkerung muss wissen, ob sie es im konkreten Fall mit militärischen oder mit zivilen Kräften zu tun hat.
6. Erfolgsaussichten müssen nüchtern veranschlagt werden mit der Klärung, wie eine solche Intervention beendet werden kann.
7. Ein bloßes „Weiter so" würde dem militärischen Einsatz in Afghanistan die friedensethische Legitimation entziehen.

„Gottes Frieden anzusagen und, getragen von dieser Gewissheit, sich für einen gerechten Frieden auf dieser Erde einzusetzen, ist Aufgabe der Kirche." S. 98

Diesem Buch ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Nach der Lektüre bedauere ich es umso mehr, dass Margot Kässmann von ihren Ämtern als Landesbischöfin und EKD-Vorsitzende zurückgetreten ist. Glücklicherweise aber bleibt sie uns als Autorin erhalten.

Edition chrismonmobil, Hansisches Druck- und Verlagshaus GmbH, Frankfurt am Main 2010, 99 S., € 8,90

Wolfgang Wagner