Sehr geehrter Präsident, hohe Synode,
zunächst einmal herzlichen Dank an Herrn Oberkirchenrat Schuler für die Präsentation zum Projekt „Kirchliche Strukturen 24+“ und Frau Dr. Fetzer für den Bericht aus dem KGE-Ausschuss. Mein Dank gilt aber auch Herrn Osiw, der unermüdlich dieses Projekt in allen seinen Phasen begleitet.
„Das Geheimnis des Erfolges ist die Beständigkeit des Ziels“, so formulierte es der britische Politiker Benjamin Disraeli. Diese Erkenntnis lässt sich nur unschwer auf das Strukturprojekt übertragen.
Denn über der Projektskizze, während der Erprobungsphase und deren Auswertung steht immer das Ziel des guten Verwaltungshandelns, das die kirchliche Arbeit vor Ort mit ihren vielfältigen Arbeitsfeldern - auch bei knapper werdenden personellen und finanziellen Ressourcen – ermöglicht.
Nun liegt der Evaluierungsbericht vor. Mit diesem haben wir uns im Gesprächskreis der OFFENEN KIRCHE ausführlich beschäftigt und kommen dabei zu folgenden, grundsätzlichen Erkenntnissen. Diese sehen wir als Prämissen für unsere Entscheidung an.
1.) Wir halten angesichts immer anspruchsvollerer und komplexerer Verwaltungsthemen eine Bündelung der Aufgaben der Kirchenpflegen auf einer überörtlichen Ebene für erforderlich und zeitgemäß. Dies auch im Hinblick auf sinkende Gemeindegliederzahlen und dem rasanten Fortschreiten der Digitalisierung.
2.) Die Pfarrpersonen sollen durch die Reform von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, aber dennoch über das Verwaltungsgeschehen auf dem Laufenden sein, um die Gemeinde leiten zu können.
3.) Die Kirchengemeinde behält die Hoheit über ihren Haushalt, ihre Personalauswahl, ihre Bauvorhaben, ihre Investitionsplanung und ihre Gestaltung des Gemeindelebens.
4.) Es gibt weiterhin eine örtliche, hauptamtliche Ansprechperson, die dem Pfarrpersonal und dem Kirchengemeinderat zuarbeitet und die Verbindung zur ausgelagerten Verwaltung hält und dabei die Interessen der Gemeinde vertritt.
5.) Eine feste Ansprechperson der Verwaltung ist bei Sitzungen des Kirchengemeinderates anwesend, wenn es die Sitzungsthemen erfordern, oder sonst zumindest in regelmäßigem Abstand. Bei Fachthemen können dies auch die Spezialisten der Verwaltung sein.
Aufgrund dieser Prämissen beurteilen wir die 3 Modelle folgendermaßen:
- Das Modell der regionalen Verwaltung, das im Rems-Murr-Kreis erprobt wurde, halten wir nicht für geeignet. Hauptgrund hierfür ist die landeskirchliche Trägerschaft. Damit verbunden sind bei den dort Angestellten die beiden Hüte Kirchenbezirk und Landeskirche, aber nicht der Hut der Kirchengemeinden. Dementsprechend stellt sich die Frage der Loyalität bzw. „Für wen denken oder handeln Mitarbeitende in dieser regionalen Verwaltung?“ Auch wenn dieses Modell durchaus Vorteile bietet, überwiegen für uns die Nachteile der Trägerschaft bei weitem.
Bei der Verwaltung der Kirchengemeinden und -bezirke braucht es eine kirchengemeindliche Sichtweise als Gegenüber zur Verwaltung der Landeskirche – man denke hierbei nur einmal an Bauvorhaben oder Ausgleichsstockanträge.
Bei den ersten Vorstellungen des Projektvorhabens zu Struktur 24+ in Kirchengemeinden und -bezirken war dieses angedachte „top-down Runterregieren“ übrigens meines Wissens ein Hauptkritikpunkt am Projekt. Diese Tatsache würde die Akzeptanz einer Reform stark gefährden.
- Das Modell der Distriktkirchenpflege, wie sie in Oberndorf stattfindet, bietet nach unserer Ansicht den großen Vorteil der starken Gemeindenähe der Verwaltung. Ein/eine dauerhaft zuständige Mitarbeiter*in der Kirchenpflege auf Distriktebene wäre bei Gremiensitzungen präsent und würde für die Gemeinde denken und handeln. So würde die Verbindung von geistlicher und verwaltungsnotwendiger Leitung einer Gemeinde als Erfolgsfaktor für Gemeindeaufbau weitgehend erhalten bleiben. Dieses Modell würde für die Gemeinden die geringste Veränderung bedeuten und wahrscheinlich am besten vermittelbar sein.
Dennoch hätte dieses Modell auch große Nachteile. Es ist mit 5 betreuten Kirchengemeinden einfach zu kleinteilig und wenig zukunftsfähig angesichts kleiner werdender Gemeinden. Selbst bei einer Verdoppelung der Anzahl der Gemeinden stellt sich die Frage nach der genügenden Größe der Einheit. Denn laut des PWC-Gutachtens von 2018 braucht es mindestens 10-14 Vollzeitstellen um eine gut arbeitende Verwaltungsstruktur, die auch Spezialisierung auf unterschiedliche Themen und Vertretungen ermöglicht, aufzubauen.
Zudem müsste bei diesem Modell die Frage geklärt werden, ob die Person der Kirchenpflege ein Wahlamt bleiben muss. Dies würde ja bedeuten, dass die Person von sehr vielen Kirchengemeinden gleichzeitig gewählt werden müsste und dann mit Stimmrecht an den zahlreichen Gremiensitzungen teilzunehmen hätte. Dies wäre kaum zumutbar und macht die Stellen weniger attraktiv. Und das angesichts der häufig schlechten Bewerberlage, nicht nur im kirchlichen, sondern auch im kommunalen Bereich.
Falls die aufgeworfenen Fragestellungen zufriedenstellend gelöst werden könnten, hätte dieses Modell auf Kirchenbezirksebene (oder auch für 2 kleine Kirchenbezirke) durchaus seinen Charme, vielleicht auch in Form einer Kassengemeinschaft.
- Das Modell des regionalen Verwaltungsverbandes, bottom-up, gegründet von allen Gemeinden einer Region, wie es teilweise im Dienstleistungszentrum Ulm-Blaubeuren schon praktiziert wird, hätte nach unserer Ansicht den Vorteil, dass die Angestellten dieses Verbandes ausschließlich im Auftrag der Gemeinden und Bezirke arbeiten und sich so mit ihnen identifizieren würden. Der Verband hätte eine für Angestellte attraktive Größe und böte Spezialisierungsmöglichkeiten des Personals (z.B. für Umsatzsteuer, Bau- oder Personalwesen). Nicht zu unterschätzen angesichts der schwierigen Personalgewinnung wäre die Anstellungsmöglichkeit von Mitgliedern einer ACK-Kirche.
Da die Gründung eines solchen Verbandes mit vielen juristischen Detailfragen verbunden wäre, empfehlen wir eine landeseinheitliche, rechtssichere Mustersatzung zu erarbeiten. Auch müsste es gelingen, dass alle Gemeinden verpflichtend Teil eines solchen Regionalverbandes werden.
In der Verbandsversammlung sollten alle Kirchengemeinden vertreten sein. Dies hätte vielleicht auch den positiven Effekt, dass die Gemeinden sich besser kennenlernen und Ideen austauschen könnten. (Sicherlich gäbe es aber auch Konfliktpotential, wie immer, wenn es über den Kirchturm hinausgeht). Jeweils ein(e) Mitarbeiter*in desVerbandes sollte feste Ansprechperson für die einzelnen Gemeinden sein.
Unserer Einschätzung nach würde sich die zusätzliche Gremienarbeit in Grenzen halten, zumal die Gemeinde vor Ort weniger Verwaltungsthemen hätte und z.B. keinen Verwaltungsausschuss mehr brauchen würde. Um die Pfarrpersonen bei diesem Modell noch mehr zu entlasten, wäre es sinnvoll, dass ein/e Verteter*in der landeskirchlichen Verwaltung (so eine Art erster Landesbeamte wie bei einem Landkreis) in den Verband integriert würde, um die landeskirchlichen Verwaltungsthemen zu vertreten.
Ein solcher Verband würde das neue Berufsbild der Gemeindeassistenz erforderlich machen. Hierfür wäre kein neuer Ausbildungsberuf vonnöten, denn es gibt seit 5 Jahren die duale Ausbildung für Kaufleute im Büromanagement, in der genau die benötigten Tätigkeitsbereiche vermittelt werden. Es müsste aber ein Ausbildungsprogramm dazu erarbeitet werden.
Meine Ausführungen zu den 3 Modellen machen deutlich, dass die OFFENE KIRCHE eine Kombination aus Distriktkirchenpflege und Verbandsmodell favorisiert. Dazu braucht es allerdings die Klärung vieler Detailfragen, wie z.B. der Raumbedarf für die neue Verwaltungsstruktur, die Überführung des vorhandenen Personals, die Betreuung von Bauvorhaben vor Ort, der Umgang mit den bereits in landeskirchlicher Trägerschaft stehenden Verwaltungszentren und den großen Kirchenpflegen, die Finanzierung des Change-Prozesses mit neuen Stellen und einer dringend notwendigen kirchengemeindeweiten Digitalisierungsoffensive - - und dabei immer die „Beständigkeit des Zieles vor Augen, die zum Erfolg führen wird“.
OK-Synodale Ulrike Sämann, 26.11.2021