Kirchentag - Nachklapp


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Evang Akademie zu Berlin
Herrn Prof.Dr.h.c. Robert Leicht
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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Leicht,

am Samstag, 23.5. saß ich auf dem Kirchentag in der Glocke und hörte Ihre Bibelarbeit zu Gen 16. Erlauben Sie mir dazu ein paar Fragen:

  • Ist mein Eindruck falsch, dass Sie mit dem Text Mühe hatten und nicht richtig wussten, was Sie mit ihm anfangen sollten?

 

  • Kann es sein, dass Sie das Thema Israel und Palästina, arabisch-muslimische Welt und christlich-jüdische geprägte Welt nicht angehen wollten?

Ismael: Ein wilder  Mensch, mit allen im Streit, sein Brüdern zum Trotz wohnend: das könnten ja die Hamas-Terroristen sein und die islamischen Fundamentalisten und Terroristen von Al Quaida!
Die Völker des Nahen Ostens jedenfalls waren schon von Anfang in unerträglicher Spannung.  Und: Es gibt auch die Verheißung an diesen Sohn Abrahams „ich will deine Nachkommen so mehren...“

Die Herausforderung wäre doch, im interkulturell-interreligiösen Horizont diese Spannung zu reflektieren und unter den „Söhnen Abrahams“ zur Sprache zu bringen. Am Grab Abrahams stehen sie ja dann beieinander! Die Aufgabe, die heute viele „Patchwork-Familien“ haben, jeweils andere Herkünfte, genetische Dispositionen und verschiedene Sozialisationen in einen neuen Ganzen zu verbinden, in einer Familie, in der alle vernünftig und friedlich miteinander leben können, betrifft auf einer anderen Ebenen auch die Ethnien und religiösen Gruppen. Welche Modelle und Optionen gibt es?

Ich finde, es ist ein hochspannender Text, der da für die Bibelarbeit gewählt wurde. Und ich ahne durchaus das Motiv für die Auswahl gerade dieses Textes! Schade, dass es bei Ihnen offensichtlich nicht so war. Vielleicht hab ich Sie ja aber einfach nicht richtig verstanden! Ich wollte Ihren Text herunterladen, um meine Wahrnehmung noch einmal zu überprüfen, aber er ist wohl nicht verfügbar.

Nix für ungut
Mit freundlichen Grüßen

Ihr Eberhard Braun




Von: "Leicht, Robert" <Robert.Leicht@zeit.de>
Datum: 4. Juni 2009 18:32:27 MESZ
An: <ebed.braun@t-online.de>
Betreff: Ihre Reaktion

Sehr geehrter Herr Braun,
zu den verschiedenen Themen des Nahen Ostens, der Völker, der Religionen - da gäbe es gewiss viel zu sagen.
Das ist für mich vor einer Bibelarbeit nicht die Frage, sondern ausschließlich: Was ist das Thema genau dieses Textes, was will er? Nicht: Was will ich oder was will ein anderer meiner Zuhörer? Für mich heißt Interpretation eines biblischen - ja, eines jeden Textes - nicht, worüber würde ich gerne reden, sondern: „Worüber will der Text reden?" Und Genesis 16 ff will eben nicht über das Verhältnis der verschiedenen Völker, gar der Religionen im Nahen Osten reden - sondern um es so genau wie fundamentalistisch genau zu sagen: über das Verhältnis von Abram und Sarai (und natürlich Hagar) zu diesem ihrem Gott in diesem ihren spezifischen Lebensabschnitt. Das Thema ist das Gottvertrauen und das Schwanken in ihm, der Versuche, seinen Wegen eine eigenmächtige Wendung zu geben.

Das könnte ich Ihnen nun im Einzelnen aus der Textschichtung, der Gattungs- und Literaturgeschichte säuberlich belegen (und übrigens aus den Fragwürdigkeiten der verschiedenen Ätiologien) - aber das stellen wir erst einmal zurück, bis Sie mir die viel wichtigere Frage beantwortet haben: Welche „Botschaften" und Handlungsanleitungen hätten Sie denn aus dem Textabschnitt - und, bitte, nur aus dem Text und nicht etwas aus Ihren eigenen wie immer berechtigten gegenwärtigen Ansichten zum Nahen Osten - für die politische und religionspolitische Gegenwart gewinnen wollen? (Einmal abgesehen davon, dass „die Araber"  der Thora nie ein Thema waren und keiner genau sagen kann, wie sich in diesen Texten die „Hagariten" (möglicherweise die Nachkommen der Hagar) zu den „Ismaeliten" verhalten - aber lassen wir diesen allzu genauen Blick in die Texte...)

Wissen Sie, was herauskäme, wenn man den Text gewaltsam in diese Richtung auslegte? Die Juden (sprich: Abram) haben Ismael (und die Ismaeliten, also die Nicht-Juden, als Leute, die nicht im Frieden mit ihren Brüdern leben können) ausgestoßen in die tödliche Wüste, und haben sich dazu auch noch auf göttlichen Rat berufen (via Sarai) - und mit dieser Aussage soll ich als Christ gegenüber Juden und als Deutscher gegenüber Israel anfangen?? Etwa noch mit der Stoßrichtung. Zwar haben wir Deutschen und Christen die Juden ausgestoßen - aber das haben die Juden mit den Ismaeliten ja auch getan??? Wenn eine Bibelarbeit zuerst nichts als den Text zur Geltung bringen soll, würden Sie zwangaläufig auf diese Schiene geführt - sofern Sie sich auf den Irrtum einlassen wollten, dass der Text überhaupt über das Verhältnis von Israel zu den Arabern reden will - und nicht etwa, aber siehe oben...

Sehr geehrter Herr Braun, natürlich geben Texte immer wieder verschiedene Perspektiven auch dann frei, wenn man sich genau an ihre Stoßrichtung hält... Aber bevor Sie mir voller Spott tumben Unverstand vorhalten, könnten Sie sich ja auch fragen, ob der blinde Fleck wirklich beim Ausleger war. Und wenn Sie schon Ihre wie ich finde ziemlich grundlose Polemik gegen meine Bibelarbeit auf eine Website stellen, wäre es mindestens ein Gebot der Fairness, diese meine Replik dazuzustellen.

Nichts für ungut und freundliche Grüße
Ihres
Robert Leicht

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