Pfarrerin. Lesbisch.

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Gisela Dehlinger ist Anfang sechzig, Meike Zyball Anfang dreißig. Beide sind Pfarrerinnen, beide sind lesbisch. Die eine  steht wenige Jahre vor dem Ruhestand, die andere hat vor wenigen Jahren ihren Dienst in der Württembergischen Landeskirche angetreten. Ich treffe die beiden online zu Beginn des Jahres 2023. Gemeinsam blicken wir  auf die Situation der Landeskirche in Württemberg und ihrem Umgang mit queeren Menschen, aber auch auf persönliche Erfahrungen und Kraftquellen.


Astrid Edel: Ich freue mich sehr, dass ihr beide bereit seid,  eure Gedanken und Erfahrungen mit den Leser*innen der anstöße zu teilen.
Meike, du wurdest vor drei Jahren ordiniert und bist mit 50% Gemeindepfarrerin und mit 20% in der Schule. Welche Erfahrungen machst du als lesbische Gemeindepfarrerin?
Meike Zyball: Ich habe bei der jetzigen Stelle bereits bei der Vorstellung im Gemeindebrief geschrieben, dass ich mit meiner Partnerin im Pfarrhaus wohne. Die Reaktionen in der Gemeinde sind ganz unterschiedlich. Manche interessiert es nicht, andere finden es cool, dass ich es offen lebe. Ein bisschen Dorftratsch gibt es natürlich auch. Ich wollte das diesmal gleich klar machen und nicht erst so peu á peu. Im Vikariat war das eher ein doofer Eiertanz.
Astrid Edel: Was meinst du mit „Eiertanz“ im Vikariat?
Meike Zyball: Meine Partnerin und ich haben uns vor Beginn des Vikariats beim Referenten von Dezernat 3 ganz offiziell geoutet. Wir haben gesagt: „Hallo, wir sind lesbisch und ein Paar.“ Er wollte uns unterstützen. Gleichzeitig bekommt man im OKR die Wörter „Homosexualität“ oder „lesbisch“ immer nicht so gut über die Lippen. Eher wird gesagt: „Sie und ihre besondere Lebensform.“ Wir  sollten auf der einen Seite unterstützt werden, aber auf der anderen Seite wollte man unbedingt Ärger vermeiden. Es wurde überlegt, ob wir offiziell in zwei getrennten Wohnungen wohnen  und nur inoffiziell zusammenwohnen sollten. Insofern war dieses Gespräch  ein Eiertanz.
Astrid Edel: Gisela, erkennst du aus Meikes Erzählungen zur Kommunikation mit der Kirchenleitung etwas aus deiner Berufsbiografie wieder?
Gisela Dehlinger: Die Unterstützung durch das Personaldezernat  habe ich eigentlich auch  so erlebt, allerdings auch in dieser Ambivalenz.
Schwierig war für  uns , dass meine Partnerin 1996 nur als Untermieterin ins Pfarrhaus mit einziehen konnte. Gegenüber der Gemeinde war ich nicht geoutet, bis mir eines Tages eine Konfirmandenmutter aus der Nachbarschaftsagte, dass eine andere Nachbarin in der Straße  erzählen würde, dass die Pfarrerin lesbisch wäre. Ich hatte auf meinem Auto die Regenbogenfahne drauf und da war es für die Nachbarin wohl klar und sie hat es überall verbreitet.
Da musste ich irgendwie  wieder in die Offensive kommen und ich habe es meinem Kirchengemeinderat erzählt. Die haben ganz positiv reagiert. Einige haben gesagt, das sei ihnen schon klar gewesen. Andere waren völlig überrascht. Es ist nichts weiter passiert, aber es war für mich eine heikle Situation, möglicherweise geoutet zu werden, ohne dass ich es will. Das war für mich der Moment, in dem ich mich entschieden habe: wenn ich mich  bewerbe, dann nur noch offen. Das hat aber auch dazu geführt, dass ich manche Stellen nicht bekommen habe.
Astrid Edel: Wo hattest du das Gefühl, dass dir oder anderen lesbischen und schwulen Pfarrer*innen deiner Generation Steine in den Weg gelegt wurden?
Gisela Dehlinger: Schwierig war es bei einer Bewerbung auf eine andere Gemeindepfarrstelle. Ich hatte vorher mit dem Vorsitzenden des Besetzungsgremiums gesprochen. Der hat mir versichert , dass es kein Problem gebe, wenn ich mich als offen lesbische Pfarrerin bewerbe. Am Abend der Wahl erfuhr ich nach meiner Vorstellung im Besetzungsgremium, dass der Vorsitzende gesagt hat,  das Gremium müsse sich klar machen müsse, mit mir als Pfarrerin künftig lauter Lesben und Schwule im Gottesdienst Zu haben.  So viel zum Thema „das ist überhaupt kein Problem“... Die haben mich dann auch nicht gewählt.
Gute Erfahrungen mit der Dienstwohnung und der Bewerbung habe ich bei meinen folgenden Stellen als Referentin beim Dekan in Heilbronn und im Bildungszentrum in Birkach gemacht. Als ich mich 2016 auf ein Dekanat beworben habe, bin ich zu meiner großen Freude auch zunächst durchs Kollegium des OKR gekommen, dann aber am Landeskirchenausschuss gescheitert.
Astrid Edel: Aufgrund deiner sexuellen Orientierung?
Gisela Dehlinger: Ja,  das hat natürlich niemand so gesagt, aber es war klar, dass das so ist.
Astrid Edel: Hast du bei solchen Gelegenheiten manchmal  gezweifelt, ob du Pfarrerin oder in der Landeskirche bleiben magst?
Gisela Dehlinger: Ja, im Vorfeld dieser Bewerbung aufs Dekaninnenamt tatsächlich. Da war ich beim Personaldezernenten und er hat mich gefragt, ob ich als Dekanin ein lesbisches oder schwules Paar segnen würde. Da habe ich  spontan „Ja“ gesagt. Er hat mich dann  um eine schriftliche Positionierung gebeten. Ich habe mich mit ein paar Leuten besprochen, und die haben  gesagt: Gisela, wenn du schreibst, dass du das machst, dann kannst du die Bewerbung gleich vergessen. Und das war der Moment, wo ich überlegt habe: Verbiege ich mich jetzt und schreibe, ich würde es ablehnen, weil die rechtlichen Regelungen unserer Landeskirche das nicht zulassen, oder bleibe ich mir treu und sage, dass ich es machen würde?
Ich habe dann  geschrieben, dass ich dem Paar  sagen würde, dass ich mich schweren Herzens an die Regelungen halten würde. Das war der schwierigste Moment in meiner ganzen Laufbahn. Ich habe gedacht, dass ich als Dekanin dann mehr  Möglichkeiten habe als wenn ich es gar nicht versuche. Aber es war nicht gut.
Aber ich bin Pfarrerstochter und schon sehr verbunden mit der Landeskirche. Und ich bin einfach ein politischer Mensch und denke, von innen kann man Dinge besser verändern als von außen und deshalb: drin bleiben und dafür kämpfen.
Astrid Edel: Liebe Meike, gibt es etwas , das die Generation von Gisela erreicht hat, wofür du dankbar bist?
Meike Zyball:  Klar, ich bin ja als lesbische Vikarin in diesen Dienst aufgenommen worden und ich durfte  dann doch von Anfang an mit meiner Partnerin zusammenwohnen. Das haben Giselas Generation und viele andere queere Menschen vor ihr, für mich und andere erreicht. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Mir begegnen jetzt aber auch viele Menschen in der Kirche, die denken, jetzt sei alles gut. Die nehmen gar nicht mehr wahr, dass der Weg noch gar nicht zu Ende gegangen ist. Es gibt beispielsweise keine Dekanin und keinen Dekan, die oder der sich als lesbisch oder schwul geoutet haBen.
Ich hatte auch lange das Gefühl, ich muss eigentlich zufrieden sein. Ich kann so leben wie ich will und sogar  in diesem Beruf arbeiten. Erst in den letzten Jahren, in denen ich mich mit Rassismus auseinandergesetzt habe, habe ich verstanden, dass diskriminierende Erfahrungen wirken wie kleine Mückenstiche. Wenn jetzt ein Personaldezernentmit „Ihrer besonderen Lebensform“ herumdruckst ist das keine Beleidigung. Manchmal lacht man sogar darüber. Selbst wenn die Bezeichnung „besonders“ positiv gemeint sein könnte,  steckt darin  die Botschaft: Sie sind anders als der Rest, Sie gehören nicht zur Mehrheit, Sie fallen auf, denn Sie sind „besonders“. Wenn Menschen befürchten, dass die Lebensform Probleme machen könnte, dann ist da ein Unterton: „Du machst Probleme. Du passt nicht in die Schablone der von uns gewünschten Personen.“ Das schmerzt mich natürlich. Offen sagt es niemand, aber das sind die Mückenstiche, die man sich in der Kirche  häufig abholt als queere Person.
Und deswegen muss ich mich auch immer wieder aufraffen und sagen: „Hey, die Generation vor mir hat so viel frei geboxt. Jetzt will ich  diesen Weg aus Dankbarkeit und im Geist der Generation vor mir zu Ende gehen, bis wir eine Gleichstellung und Gleichberechtigung haben.“
Ich bin jetzt  Anfang 30 und denke, das Interview sollte man so in 30 Jahren wieder führen.
Astrid Edel: Was muss sich in der Landeskirche noch ändern, damit die Gleichstellung erreicht ist?
Gisela Dehlinger: Mein Ziel wäre, dass unsere Beziehungen genauso wie  die von heterosexuellen Paaren behandelt werden. Auch, wenn queere Paare Kinder haben. Ich kenne genau ein Paar lesbischer Kolleginnen, die Kinder haben. Ich glaube, von meiner Generation wäre niemand überhaupt auf die Idee gekommen und es ist klasse, dass das für eure jüngere Generation eine Option ist. Ich fürchte, dass es nicht leicht ist in der Kirchengemeinde zu sagen: „Wir sind zwei Frauen und eine ist jetzt schwanger.“
Meike Zyball: Ich würde mir für Württemberg wünschen, dass ein Pfarrer, der ein schwules oder lesbisches Paar nicht selbst trauen will sagt: „Hey, es tut mir Leid, ich kann und will Sie nicht segnen, aber gehen Sie zu xy, dort sind sie willkommen und die freuen sich mit ihnen.“ Ich glaube, dann ist es keine schlimme Diskriminierungserfahrung für das Paar, sondern authentisch. Aber dazu brauchen wir auch die rechtliche Grundlage. Wenn die Synodalen, die gegen die Trauung sind, uns diese Rechtssicherheit gewähren, würde das der Diskussion sehr, sehr gut tun und auch dem gemeinsamen Glaubensleben. Ich bin müde geworden und will auch gar nicht alle auf meine Seite ziehen.
Gisela Dehlinger:  Aals meine Partnerin und ich uns verpartnert haben und eine Kirche für den Segnungsgottesdienst gesucht haben, hat nach vielen Anfragen schließlich ein Pfarrer gesagt: „Sie sind willkommen!“ Das war so „wow“! Da sagt jemand: „Sie sind willkommen und wir freuen uns, wenn Sie Ihre Segnung bei uns feiern.“ Das war richtig groß und das würde ich mir von unserer Landeskirche wünschen. Dass wir nicht mehr ein Problem sind und anders und besonders, oder dass man das Wort nicht aussprechen kann. Sondern dass sie sagen: „Super, dass wir auch lesbische Pfarrerinnen und schwule Pfarrer in unserer Landeskirche haben. Das bildet die Vielfalt unserer Gemeindeglieder ab.“
Meike Zyball: Ja, genau, ich fände es auch total wichtig, dass wir Räume schaffen, wo jede*r wirklich willkommen ist. In unseren Kirchen und Strukturen  gibt es wenig geoutete Menschen, Schwarze oder transidente Menschen. Wir sind leider nicht divers. Es liegt auch an dem Umgang mit Minderheiten hier in Württemberg, dass ich den Pfarrberuf einfach nicht jeder und jedem empfehlen kann. Als ich ordiniert wurde, konnten schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen noch nicht offiziell Dekan*innen werden. Das hätte man mir am Anfang sagen müssen: „Frau Zyball, Karriere machen können Sie bei uns aktuell noch nicht, weil wir  Sie vermutlich nicht als Dekanin nehmen werden. Stellen Sie sich darauf ein.“ Es kommt in unserer Kirche nicht vor, dass man s zugibt: unsere Gesetze und Strukturen diskriminieren.
In Württemberg heißt es immer wieder: „Wir müssen nicht gleich alles rechtlich durchsetzen, es ist doch auch gut, wenn es in der Praxis klappt.“ Man darf nicht unterschätzen, dass Strukturen und Rechte  nicht nur Symbolpolitik ist. sind. Das tut auch anderen Minderheiten gut, wenn sie sehen, diskriminierende Strukturen werden abgeschafft.

Astrid Edel: Habt ihr Vorbilder, die euch Kraft gegeben haben im Alltag mit der Gemeinde, aber auch mit der Kirchenleitung?
Gisela Dehlinger: Für mich war Hertha Leistner, die Gründerin der Lesbentagung in Bad Boll, auf jeden Fall ein Vorbild. Sie hat  das Buch geschrieben: „Hättet ihr gedacht, dass wir so viele sind?“ Das war schon phänomenal, als es rauskam und klar wurde: „Da gibt es ja eine ganze Menge lesbischer Pfarrerinnen.“ Aus der Lesbentagung ist auch eine Gruppe lesbischer Pfarrerinnen und ihrer Partnerinnen entstanden. Für mich ist das eine ganz wichtige Gruppe. Wenn ich nicht diese Freundinnen gehabt hätte, mit denen ich mich austauschen konnte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr Pfarrerin.
 
Astrid Edel: Gisela, du gehst in fünf Jahren in den Ruhestand. Was muss bis dahin passieren, dass du deinen Dienst auch wirklich in Ruhe niederlegen kannst?
Gisela Dehlinger: Ich habe eine Wette mit meiner Partnerin laufen: Dass das Thema Lebensform bis zu meinem Ruhestand kein Thema mehr ist. Aber sie hat leider dagegengehalten. Das wäre wirklich mein Wunsch: Man braucht keine solchen Interviews mehr, weil es normal ist.
Astrid Edel: Meike, wie sollte die Landeskirche 2058 mit queeren Pfarrpersonen und Gemeindegliedern umgehen? Dann würdest du in den Ruhestand gehen.
Meike Zyball: So wie sie auch mit heterosexuellen Menschen umgeht, so soll sie auch mit homosexuellen Menschen und mit Transidenten umgehen. Es wäre sehr schön, wenn wir bis dahin einfach diverser geworden sind, auf vielen verschiedenen Ebenen: in unseren Gremien, in unserer Leitung, in unseren Gemeinden. Wenn sich da Transidente und nicht-binäre Menschen zu Hause fühlen. Das wäre sehr schön!
Astrid Edel: Vielen Dank euch für das Interview und Gottes Segen für euren weiteren Weg.