OK-Stellungnahme zum Bericht des Landesbischofs

In seinem Bischofsbericht hat sich Dr. h. c. Frank Otfried July bei der Frühjahrssynode der württembergischen Landeskirche mit den Zwölf Leitsätzen der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD auseinandergesetzt. Hier das Votum des Gesprächskreises OFFENE KIRCHE zum Bischofsbericht, gehalten von Yasna Crüsemann.

Pfrien. Yasna Crüsemann

Frau Präsidentin, hohe Synode, lieber Landesbischof Dr. July,
zunächst einmal herzlichen Dank, lieber Landesbischof Dr. July, dass Sie Ihren Bericht mit einer Erfahrung vom Tag der weltweiten Kirche begonnen haben und für den Ruf den Blick zu weiten. Das tut uns gut, denn der weite Blick, der Blick über den Tellerrand lasst uns über uns selbst hinaussehen, bewahrt uns vor Selbstbezogenheit und Selbstbespiegelung, und öffnet uns die Augen:

1. Den Blick weiten: hörende und lernende Kirche sein 
Deshalb ist es heilsam zu Beginn der Synode zuerst auf eine Stimme aus der weltweiten Ökumene zu hören und von den Geschwistern zu lernen. Wir haben im Grußwort von Moderatorin Alessandra Trotta von der Waldenserkirche in Italien gehört, wie ihre Kirche den Blick weitet. Sie hat berichtet, wie in diesem Winter - mitten in der zweiten Pandemiewelle - viele Mitglieder, selbst gebeutelt von eigenen Sorgen, bei ihr angerufen und gefragt haben: "Was machen wir eigentlich für die Flüchtlinge, die in Bosnien bei Eiseskälte in unmenschlichen Bedingungen und der Gleichgültigkeit aller feststecken?" Und wie sie sich als kleine Kirche bemühen, mit ihren geringen Mitteln predigend, unterstützend, solidarisch und heilend Anteil zu geben und Anteil zu nehmen, um den Verletzlichsten beizustehen!

Was für ein Blick in die Weite! Welche Freiheit kommt darin zum Ausdruck, von sich selbst abzusehen. Die Treue zur Bibel und die Erinnerung an die eigene Geschichte aus Flucht und Vertreibung, an die durch Widerstand gewonnene Freiheit, wird zum Auftrag, die ins Blickfeld zu rücken, denen das Licht der Freiheit und die Rechte heute vorenthalten werden -und sich an ihre Seite zu stellen: "Wir möchten in der Nahe derer stehen, denen sich Jesus zuwandte - den Armen, Ausgeschlossenen, Alleinstehenden, Hoffnungslosen." So die klare Option der Waldenserkirche.
Das ist Kirche als Kirche für andere und mit anderen. Kirche als Zeitzeugin der Hoffnung. Kirche ist nur Kirche im Dienst an den anderen, wenn sie sich wie Prof. Paolo Ricca sagt, an dem Diakon Jesus orientiert, der gekommen ist zu dienen und nicht sich dienen zu lassen. Darum kann es nicht in erster Linie um das Eigene gehen. Kirche muss da sein, wo Menschen leiden.

2. Den Blick weiten: hinsehende und solidarische Kirche sein
Als OFFENE KIRCHE ist uns wichtig, dass wir als Kirche dort hinsehen, wo unsere Menschen- und Glaubensgeschwister leiden. Auf die, die in unmenschlichen Bedingungen und der Gleichgültigkeit aller feststecken". In der Eiseskälte in Bosnien oder im Schlamm der Lager von Lesbos. Und darüber hinaus: bis in die Transit- und Herkunftsländer der Migration und Flucht. Bis in die Wüsten, wo sie stranden und verenden.
In der Wüste ist die Sklavin Hagar ihrem Gott begegnet und hat erkannt: du bist ein Gott, der mich sieht. Darum weiten wir den Blick und schauen auch dorthin, rücken sie ins Licht der Aufmerksamkeit. Hier müssen wir als Kirche reden - laut und vernehmbar auf das Leiden und das Unrecht hinweisen. Den Verwundbarsten bei uns und weltweit beizustehen - predigend, unterstützend, solidarisch und heilend Anteil geben und nehmen - das soll auch in Zukunft zu den Prioritäten in unserer Kirche gehören.
Die Zahl der Flüchtenden weltweit steigt jährlich, im letzten Jahr sind sie auf fast 80 Millionen weltweit angewachsen, nur der allerkleinste Teil davon kommt bis an die Grenzen Europas. Doch die Herausforderungen für unsere Partnerkirchen in den Herkunfts- und Transitländern wachsen. Deshalb ist es notwendig, auch künftig Einrichtungen wie das GAW, die EMS oder Kirchen wie unsere waldensischen Geschwister, die sich hier tatkräftig engagieren, auch weiterhin fürbittend und finanziell unterstützen. Und zwar angemessen.

Als OFFENE KIRCHE wünschen wir uns eine Kirche, die den Blick weitet zu den Schwächsten und Verwundbarsten. Die auch und gerade dann hinsieht, wenn Gesellschaft und Politik dort nicht mehr hinschauen wollen. Nur so können wir als Kirche Zeitzeugin der Hoffnung sein. Wir wollen eine Kirche, die sich auf der Grundlage ihres biblischen Auftrags laut und wahrnehmbar einsetzt für Menschenwürde und Menschenrechte, konkret heißt das derzeit: für das Grundrecht auf Asyl. Für die Aufnahme von Flüchtlingen im Land Baden-Württemberg. Für ein Ende und eine Evakuierung der Lager und menschenunwürdigen Zustände an und innerhalb der Grenzen Europas, die Menschen in Notlagen bewusst und zur Abschreckung im Elend lassen. Und wir bitten die Kirchenleitenden sich wahrnehmbar und deutlich für ein Landesaufnahmeprogramm einzusetzen und nicht müde werden, den Dialog mit den verantwortlichen Stellen zu suchen. (Ich verweise an dieser Stelle auf die Stellungnahme der Synode der Ev. Kirche im Rheinland, die sich hier deutlich zur Situation in Lipa und Lesbos geäußert hat)

3. Den Blick weiten: in der Gesellschaft präsent und sie transformierende Kirche sein
Kirche soll Menschen in den Höhen und Tiefen ihres Lebens begleiten und gerade dort präsent sein, wo Menschen besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Unsere Hoffnungsbotschaft gehört deshalb dorthin, wo niemand gerne ist: in Krankenhäuser, Heime, Gefängnisse. Wir wollen eine Kirche, die Menschen an den Rändern, die Suchenden, Zweifelnden, Halbinteressierten mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet und die eine Sprache spricht, die sie verstehen. Kirche muss auch in Zukunft präsent sein an den Schnittflachen zu gesellschaftlichen Lebenswelten, wie etwa dem Gesundheitswesen und der Arbeitswelt. Die Pandemie hat gezeigt, wie unverzichtbar etwa die Krankenhausseelsorge ist.
Nach der Pandemie werden vermutlich gewaltige Umwälzungen auf unsere Wirtschaft zukommen. Wir brauchen kirchliche Fachkompetenz, die in der Arbeitswelt präsent sind und die als Gesprächspartnerin dort ernstgenommen werden. Wir brauchen den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt! Wir brauchen Institutionen wie die Evangelische Akademie Bad Boll, die in einer Gesellschaft, in der die Gräben sich immer weiter vertiefen, Brücken baut mit kompetenten Menschen, die es verstehen, Gruppen, die normalerweise nicht miteinander sprechen wollen, doch an einen Tisch zu bringen und den Dialog zu moderieren.
Wir unterstützen eine glaubwürdige und menschenfreundliche Kirche, die ihre Hoffnungsbotschaft auch durch ihr Handeln glaubwürdig in die Welt trägt und so zu ihrer Transformation beiträgt. (Darum übernehmen wir Verantwortung für unser Gemeinwesen, engagieren uns für Frieden, Demokratie und gegen Rassismus und Antisemitismus.)

Die Kirchen der Ökumene lehren uns auch dorthin zu sehen, wo die Schöpfung leidet. Sie zeigen uns verdorrte Felder, von Wirbelsturmen zerstörte Dorfer, vernichtete Nahrungsmittelproduktion: auch das diesjährige Weltgebetstagsland Vanuatu, das aufgrund des steigenden Meeresspiegels unterzugehen droht, hat unseren Blick geweitet. Als Teil der weltweiten Gemeinschaft sind wir zu einer glaubwürdigen Antwort herausgefordert. Auch im Blick auf unsere nachfolgenden Generationen.
Darum bringen wir heute ein Klimaschutzgesetz ein, das unseren biblischen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung in unserer württembergischen Landeskirche umsetzen soll. Als OFFENE KIRCHE wollen wir eine glaubwürdige Kirche, die sich für eine menschenfreundliche, ökologische, faire und solidarische Lebensweise einsetzt.
Glaubwürdigkeit heißt auch ein dem Glauben würdiges und entsprechendes gerechtes und faires Handeln, Wirtschaften und Einkaufen in unseren Gemeinden und Einrichtungen. Glaubwürdig werden wir, wenn wir zeichenhaft vorleben, woran wir glauben und wofür wir stehen.
Die Pandemie hat die sozialen Spaltungen sichtbar gemacht - weltweit und bei uns. Wir setzen uns an der Seite unserer Missionswerke für eine globale Impfgerechtigkeit ein. Die Pandemie hat unseren Blick auch auf die gelenkt, die im Gesundheitswesen tätig sind. Auf die Kassiererinnen und Pflegekräfte, darunter besonders viele Frauen, die immer noch schlechter bezahlt werden: "Equal care" - eine faire und gerechte Entlohnung ist nur ein Beispiel, dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit ebenfalls weiter im Blick bleiben muss, das ich in den Thesen kaum wahrgenommen habe. Dazu gehört auch die Aufwertung der Pflegeberufe. Und der Blick auf die, - meist Frauen - die an der Grenze zu prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen, auf Sekretärinnen, Mesnerinnen oder die Frauen in der Hauswirtschaft.

4. Den Blick weiten: weltoffene, inklusive und diverse Kirche sein
Zum Schluss möchte ich, Ihre Erfahrung vom Pfingstmontag aufgreifend, den Blick auf uns lenken und fragen, wo sich die dort erlebte kulturelle Vielfalt in unserem Kirchenalltag abbildet, in unseren Gremien und Leitungsebenen, im Pfarramt, in der Synode? Wo werden die internationalen Gemeinden beteiligt? (Auch hier können wir von den Waldenser Geschwistern lernen, die sich dieser Herausforderung gestellt haben und zugleich entdeckt haben: eine multikulturelle Kirche ist, so der frühere Moderator Bernadini, unsere einzige Chance als Kirche zu wachsen.)

Die kulturelle Diversität und die vielfältigen Lebensformen und Lebenslagen unserer Gesellschaft sollen sich in unserer Kirche und auf allen Ebenen unserer Kirche abbilden. Dafür braucht es Ressourcen. Wenn die Migration in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, muss sich das in den entsprechenden Stellenanteilen der Zuständigen abbilden. Auch die interkulturelle Jugendarbeit ist her von Bedeutung und muss erhalten bleiben. Denn hier wird nicht nur ein Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft geleistet, sondern zu einer inklusiven Kirche.

Votum der OFFENEN KIRCHE von Yasna Crüsemann