75 Jahre Barmer Theologische Erklärung

Ein Zwischenruf
aus Anlass der Veröffentlichung der Arbeitshilfe
„75 Jahre Barmer Theologische Erklärung“ der EKD, UEK und VELKD

Es ist erfreulich, dass EKD, UEK und VELKD in einer gemeinsamen Arbeitshilfe das Jubiläum zum Anlass nehmen, erneut auf die Barmer Theologische Erklärung hinzuweisen und Materialien an die Hand geben, damit Gruppen und Gemeinden damit arbeiten können.

Jedoch weist die Broschüre ein nicht zu übersehendes Defizit auf. Einer der Beiträge befasst sich mit der Rezeptionsgeschichte nach 1945 und erwähnt in einem einzigen Satz (Zitat) „Auch im ökumenisch-weltweiten Kontext seien viele der neueren Bekenntnisse sichtbar durch Barmen inspiriert.“ (S. 16). Dieser magere Hinweis weist darauf hin, dass es möglicherweise auch eine - ökumenische - Rezeptionsgeschichte zu „Barmen“ gibt. Leider erfährt der Leser nicht mehr, denn die Materialsammlung behandelt das Thema  ausschließlich aus der deutschen Perspektive.

Dieses Zitat ist also der einzige dürftige Hinweis auf den Umstand, dass vielleicht auch andere Kirchen, Gruppen und Christen im weltweiten ökumenischen Kontext die Barmer Theologische Erklärung für ihre eigene ekklesiologische aktuelle Situation als wichtigen Impuls angesehen haben.
Deshalb ist es außerordentlich bedauerlich und ein schweres Manko, dass in diesem ansonsten so wichtigen Heft nicht auf folgende Initiativen und Dokumente zum ökumenischen Rezeptionsprozess eingegangen wird:

  • Die Niederländisch-Reformierte Kirche nahm 1949 „Barmen“ entgegen als „einen Beweis erneuten reformatorischen Bekennens“;

 

  • die Batakkirche (Indonesien) erwähnte 1951 im Vorwort ihres Bekenntnisses „Barmen“ als Beispiel eines Kampfes um Religionsfreiheit;

 

  • die Presbyterianisch-Reformierte Kirche Kubas sprach 1977 in der Einführung zu ihrem Bekenntnis von der Barmer Theologischen Erklärung;

 

  • die Presbyterianische Kirche (USA) sowie die Presbyterianische Kirche in der Republik Korea (PROK) haben „Barmen“ nachweislich als Bekenntnis, das auch für sie gilt, aufgenommen;

 

  • die Erklärung der japanischen Christen aus Anlass des Thronwechsels des Tenno 1989 steht in der Tradition von „Barmen“.

 

  • das KAIROS Dokument einer Gruppe südafrikanischen Christen unterschiedlicher Institutionen und Kirchen von 1985 wäre ohne „Barmen“ so nicht zustande gekommen;

 

  • und auch das Belhar Bekenntnis der Synode der Nederduitse Gereformeerde Sendingskerk in Südafrika von 1986 steht in der  „Barmer“ Tradition.

 

  • Der Reformierte Weltbund beschloss bei seiner 23. Generalversammlung in Accra (2004) einen Bund für wirtschaftliche und ökologische Gerechtigkeit und formulierte im Teil II ein „Bekenntnis des Glaubens“, welches sich in Aufbau und Formulierung an der Barmen Erklärung orientiert.

Dies sind nur einige Dokumente und Initiativen, in denen Christen und Kirchen aus der Ökumene sich direkt auf „Barmen“ bezogen oder sich inspirieren ließen. 1966 sagte A. Vissert’ Hooft (ehem. Generalsekretär des ÖRK), dass es „die Aufgabe aller Kirchen (sei), zu fragen, ob irgendwo und irgendwann in der Kirchengeschichte Wahrheit in entscheidender Weise formuliert worden ist, die alle Kirchen annehmen und bestätigen sollten.“ (Er glaubt) „dass die wesentlichen Feststellungen des Barmer Bekenntnisses in jene Entscheidungs-kategorie gehört, die für alle Kirchen Gültigkeit besitzt.“

Auch die in Deutschland verfassten folgenden Texte sind sicherlich in Erinnerung an „Barmen“ formuliert worden:

  • das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945;

 

  • das Darmstädter Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche von 1947;

 

  • die Erklärung der Delegation der EKD und der Kirchen des Protestantischen Bundes in Frankreich, die 1994 anlässlich des 60. Jahrestages der Barmer Bekenntnissysode verfasst wurde.


In diesem Rahmen sollte auch erwähnt werden, dass die intensiven ökumenischen Diskussionen und Beschlüsse zu einem „status confessionis“ (z.B. des Lutherischen Weltbundes 1977 in Daressalam und der Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 1982 in Ottawa) von den Aussagen der Barmen Erklärung beeinflusst wurden.

Es ist verständlich, dass eine solche Broschüre nicht ausführlich auf alle Zusammenhänge eingehen kann. Dass aber dieser hochinteressante und reich ökumenische Rezeptionsprozess dem Leser in einer Jubiläums-Arbeitshilfe so vollständig oder aus Ignoranz vorenthalten wird, ist ein Hinweis darauf, dass Vorgänge in der Ökumene zu diesem Thema für die Verfasser der Broschüre offensichtlich nicht gesehen wurden oder keinerlei Bedeutung haben, was einem Armutszeugnis gleichkommt.
Leider lassen auch das Andachts- und Gottesdienstmaterial jeglichen ökumenischen Bezug vermissen.

Im EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ wird zwar die weltweite Ökumene in Stichworten erwähnt, aber ein Kompetenzzentrum (Leuchtturm) wurde für dieses Arbeitsgebiet nicht vorgesehen.
Dabei sollte man sich z.B. nur ein wenig mit dem Buch „Folgen Christlicher Freiheit“ (Neukirchener Verlag, 1983), des Ratsvorsitzenden des EKD, Dr. Wolfgang Huber, beschäftigen, der sich in dem Band ausführlich mit den Barmen Thesen befasst. Bemerkenswert dazu ist das Kapitel „Wahrheit und Existenzform“ (S. 169 ff), in dem der Autor von Bonhoeffer ausgehend schreibt: „Zu den Kennzeichen seines (Bonhoeffers) Kirchenverständnisses gehört es gerade, dass er Bekenntnis und Ökumene aufeinander bezieht.“
Diese Dimension klammert die Arbeitshilfe leider völlig aus und sie verharrt in einer parochialen und provinziellen Sicht der Dinge, die sich die deutschen Kirchen, die in weltweiten Zusammenhängen lebt, nicht erlauben sollten.