Dorothea Margenfeld wurde 70

Am 29. Juli feierte die ehemalige Prälatin von Ludwigsburg, Dorothea Margenfeld, ihren 70. Geburtstag. Sie war die erste Frau in der württembergischen Landeskirche, die ein bischöfliches Leitungsamt inne hatte.

Eine mit Migrationshintergrund sei sie, sagt Dorothea Margenfeld, die erste Prälatin der Württembergischen Landeskirche, und dass ihr nach der Flucht aus Ostpreußen, zusammen mit der Mutter und den Geschwistern, eine Art Heimatlosigkeit geblieben sei, bei allem Zugehörigkeitsgefühl zu Württemberg und Ludwigsburg.

Leichteres Gepäck?
Lebhaft hat Dorothea Margenfeld die Flucht aus Masuren in Erinnerung: die Trecks, die Lastwagen und Züge, das Chaos. Fünf Jahre alt war sie da, das älteste von fünf Kindern des lutherischen Pfarrers Bruno Margenfeld und seiner Frau Else. An einem Bahnhof ging der kleine Bruder verloren. Er war in einen anderen Zug geraten. „Ein holländischer Zwangsarbeiter hat ihn dann gefunden“, erinnert sie sich, „er hat ihn zu uns zurückgebracht. Und ich habe noch dieses Glücksgefühl in mir. Der verlorene und wiedergefundene Bruder, das ist mir geblieben.“
Nachdenklich fügt sie hinzu, dass die Heimatlosigkeit doch auch eine gewisse Leichtigkeit bedeute, ein leichteres Gepäck.
Tatsächlich ist die Wohnung in der ehemaligen Ludwigsburger Prälatur, in der sie nun seit über 15 Jahren lebt, verglichen mit anderen Theologendomizilen eher leer. Viele Bücher hat die ehemalige Harvardstudentin selbstredend, einzelne alte Möbel und einen gläsernen Couchtisch, der aussieht, als sei er gar nicht ganz da. Nirgendwo ist etwas zu viel, alles könnte jederzeit eingepackt und umgezogen werden.

Erste Regionalbischöfin
Fünf Jahre lang leitete Dorothea Margenfeld das Afrikareferat im Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS) und war viel unterwegs. Ihre Augen strahlen, wenn sie von dieser Zeit erzählt. In Afrika hat sie etwa Sprachwerkstätten für HIV-infizierte Frauen mit gestaltet: „Die Frauen sollten ihre eigene Geschichte aufschreiben. In dieser Kultur des Erzählens war das sehr ungewöhnlich. Nur ungeheuer Wichtiges wird dort aufgeschrieben. Das war hoch spannend! Plötzlich waren die Geschichten dieser Frauen wichtig.“ Meistens hielt sie, die Theologin, morgens die Bibelarbeit. Sie verwendete biblische Erzählungen über Frauen. Und ganz anders als in deutschen Gemeinden oder an europäischen Universitäten tat sich kein Graben zwischen Text und Leben auf. „Die Geschichten waren ganz nah an den Frauen dran.“

Früh engagierte sich Dorothea Margenfeld in der Friedens- und Antiapartheidsbewegung. Noch heute gibt sie Deutschunterricht für Asylbewerber. Sie protestierte gegen Atomkraft und arbeitete im jüdisch-christlich-islamischen Dialog mit. Inspiriert ist ihre Arbeit nicht zuletzt von der Feministischen Theologie. Als sie 1992 die erste Prälatin, also Regionalbischöfin, in der Württembergischen Landeskirche wurde, war sie ein lebendiges Symbol für die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Ihre Ernennung war allerdings nicht unumstritten. Noch einmal, 30 Jahre, nachdem Frauen zum Pfarramt in der Württembergischen Landeskirche zugelassen worden waren, schlugen die Wellen hoch. Ein Pfarrer bezeichnete öffentlich die Prälatur als unbesetzt und weigerte sich, Margenfeld als Vorgesetzte anzuerkennen. Erst ein deutlicher offener Brief des damaligen Bischofs Theo Sorg ließ die Proteste allmählich verstummen. Dorothea Margenfeld erinnert sich aber auch an Unterstützung. Viele hätten ihr damals geschrieben, wie sehr sich freuten, dass eine Frau, noch dazu eine wie sie, in dieses Amt gewählt wurde.

Als sie in den Ruhestand ging, dankten ihr die Gemeinden und ihre Pfarrerinnen und Pfarrer für „ihr Reden und ihr Schweigen, für ihr kritisches und weiterführendes Nachfragen, für erhellende und überraschende Antworten“. Eine Zeitung schrieb gar, sie sei ein Christenmensch, wie man ihn sich vorstelle: bestimmt und rücksichtsvoll, anspruchsvoll und bescheiden, engagiert und gelassen, überzeugt und tolerant.

Schmerzgrenzen und Zuversicht
Und wie lebt sie heute, die vorbildliche Christenmenschin? „Gern jedenfalls!“ antwortet sie und lacht.
Nach wie vor wohnt sie im ehemaligen Ludwigsburger Prälatinnenhaus. Nach ihrem Amtsantritt wurde das ursprünglich für einen Pfarrer mit Großfamilie konzipierte Gebäude umgebaut. Im obersten Stock lebt seither eine Freundin der Prälatin. „Das ist einfach schön“, sagt Dorothea Margenfeld, „nicht allein in einem Haus zu sein, gemeinsam zu essen, zu reden.“

Vor einiger Zeit erkrankte sie an Krebs. Ein großer Einbruch sei das natürlich gewesen: „Mir wurde klar: ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe. Dann bin ich viel gereist. Bin Kamel geritten in der Wüste, war in Istanbul.“ Sie ist wieder gesund, aber der deutliche Wunsch, jetzt lebendig sein zu wollen und nichts zu verschieben, ist ihr geblieben.
„Ich wünsche Ihnen die Zuversicht, dass Sie, wenn Sie Schmerzgrenzen überschreiten, nicht ins Leere gehen.“ hatte sie Jahre zuvor in einem ihrer Neujahrsbriefe geschrieben. Dieser Wunsch habe sich für sie selbst erfüllt, sagt sie, nicht plötzlich, nicht einfach, aber eben doch erfüllt.

Mit Kinderaugen
In Margenfelds Texten, den Briefen und Predigten, den Ansprachen und Andachten, kommen auch heute noch häufig Kinder vor. Sie stellen kritische Fragen und geben kluge Antworten. Sie machen Hüpfschritte auf der Straße und malen dunkle Vögel „mit ein bisschen Sonne auf dem Flügel“. Vor allem aber halten sie am Unmöglichen fest, an der Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit inmitten einer friedlosen, ungerechten Welt. Auch Dorothea Margenfeld ist mit 70 ein solches Kind geblieben, das festhält am Unmöglichen.

„Wir brauchen die Träumer“, sagt sie. „Wir müssen als Christinnen und Christen am Unmöglichen festhalten. Und manchmal wächst dann ganz plötzlich und unvermutet etwas. Das ist ganz erstaunlich.“

Birgit Mattausch