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Fastenbrief 2016 der OFFENEN KIRCHE

Zu Beginn der Fastenzeit 2016 blickt die OFFENE KIRCHE mit Sorge auf die Entwicklungen in Deutschland und in der Welt. Hohe Flüchtlingszahlen, Terror, Klimawandel und wachsende ökonomische Unterschiede lassen uns nicht ruhen. Vor uns liegt noch eine weite Strecke auf dem Pilgerweg des Friedens und der Gerechtigkeit. Doch weitere Ungerechtigkeiten schaffen keinen Ausgleich, mehr Waffen gar antieren keinen Frieden. Ein "Weiter so" wird den Klimawandel nicht aufhalten und Flüchtlinge verschwinden nicht, indem man Zäune und Mauern baut oder gar auf Frauen und Kinder schießt.

Wir rufen deshalb auf zur Umkehr:

Wir brauchen weltweit ein gerechteres Wirtschafts- und Steuersystem.
Die 62 reichsten Menschen dieser Erde besitzen so viel wie die halbe Menschheit. An vielen Stellen verurteilt die Bibel Habgier als Sünde (z. B. Lk 12,15: hütet euch vor Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat).
Wer viel hat, hat eine Verpflichtung der Allgemeinheit gegenüber (Art 14.2 Grundgesetz). Ein Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung und Ungerechtigkeit gründet, wird immer neue Verlierer und neue Flüchtlingsströme hervorbringen. Die derzeitigen Handelsstrukturen benachteiligen Entwicklungsländer eklatant und verhindern, dass sie auf dem Weltmarkt faire Preise für ihre Produkte erzielen können.
Wer arbeitet, soll sich und seine Familie davon ernähren können – überall auf der Welt.
Es ist beschämend, dass selbst in Baden-Württemberg - bei annähernder Vollbeschäftigung und durchschnittlich hohem Lebensstandard – ein großer Bedarf an Tafelläden, Diakonieläden und Vesperkirchen herrscht. In den Ballungsräumen ist ein deutlicher Mangel an bezahlbarem Wohnraum für Familien und Geringverdiener zu verzeichnen.
Unsere Gesellschaft befindet sich in einer nicht hinzunehmenden Schieflage.
Nach biblischer Auffassung kann es Shalom, umfassenden Frieden, nur geben, wenn es auch den Waisen, Witwen und Fremdlingen im Land gut geht.?

Wir brauchen eine europäische Willkommenskultur für Flüchtlinge.
Unser Kontinent bezeichnet sich stolz als "christliches Abendland". Zugleich schottet er sich gegen die Not der Flüchtenden ab und baut weiter an der "Festung Europa". Tausende Menschen sind bereits an den Außengrenzen Europas gestorben, nur in Ausnahmefällen nehmen die Medien davon Notiz.
Statt über sichere Einreisemöglichkeiten nachzudenken, überbieten sich die Verantwortlichen in Europa in einem schäbigen Wettbewerb der Abgrenzung und Abschreckung. Dabei wird ausgeblendet, dass die meisten Flüchtenden in ihren Nachbarstaaten Unterschlupf finden. Oft geraten diese Staaten an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit, weil sie selbst kaum genug für ihre Bevölkerung haben, oder weil die internationale Gemeinschaft den UNHCR nur unzureichend finanziert.
Wer nach Europa flüchtet, ist darauf angewiesen, sich Schleppern auszuliefern, da es so gut wie keine legale Möglichkeit zur Einreise gibt. Hetzkampagnen und Anschläge gefährden die Menschen, die in unserem Land Schutz suchen. Die Aufklärungsquote ist derzeit beschämend niedrig. Die Täter und ihre Hintermänner müssen aufgespürt und zur Verantwortung gezogen werden.
An der Ablehnung von Menschen in Not ist nichts christlich! "Was ihr einem meiner geringsten Geschwister nicht getan habt, habt ihr mir nicht getan!" sagt Jesus (Mt 25,45). Jesus selbst ergreift Partei für die Schwächsten. Deshalb verbietet es sich für uns, Bedürftige nach ihrer Herkunft zu klassifizieren und nur bestimmten Gruppen zu helfen.
Familiennachzug trägt nachweislich zur Integration bei. Der Schutz der Familie muss allen gelten, nicht nur denen, die bereits hier leben. Wer den Familiennachzug aussetzt, lässt ausgerechnet die Schwächsten in Krieg und Elend zurück, und nimmt in Kauf, dass weiterhin Kinder, Frauen und Männer auf dem Fluchtweg ertrinken, erfrieren oder ersticken. Die OFFENE KIRCHE ist entsetzt, dass sich Parteien, die für sich reklamieren, christlich zu sein, immer mehr Forderungen von Rechtspopulisten zu Eigen machen.

Wir brauchen wirkungsvolle Maßnahmen gegen Fluchtursachen.
Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Sie fliehen auch, weil Kriege mit Waffen aus deutscher Produktion geführt werden, weil ungerechte Wirtschaftsstrukturen ihnen nicht genug zum Leben lassen, oder weil der Klimawandel ihre Lebensgrundlagen zerstört.
Es kann nicht sein, dass für Deutschland Menschenrechte jeweils nach Kassenlage gültig sind. Dass Despoten als Sicherheits- und Handelspartner hofiert werden. Dass zutiefst undemokratische Regimes mit Waffen beliefert werden.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass militärische Interventionen nur neue Probleme hervorbringen. Friedliche Wege der Transformation und der Entwicklung brauchen einen langen Atem, ausreichende Finanzmittel, Geduld und Beharrlichkeit. Dreinschlagen und Wegsehen sind keine Lösung. Deshalb lehnen wir auch – gemeinsam mit vielen evangelischen Landeskirchen und dem Friedensbeauftragten der EKD – die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien ab.
Deutschland sollte Frieden und Entwicklung exportieren und nicht Rüstungsgüter.

Wir brauchen ein Umdenken und Umsteuern in der Klimapolitik, vor allem eine Umsetzung der Beschlüsse der Klimakonferenz von Paris.
Derzeit sind in Äthiopien Millionen Menschen vom Hungertod bedroht, aber auch anderswo sind Prozesse im Gang, die Leben und Gesundheit unzähliger Menschen gefährden. Auch sie sorgen für weitere Flüchtlingsströme.
Der Klimawandel erfordert rasches Handeln von uns allen: als Einzelne, als Kirche und als Staat. Wir rufen dazu auf, das eigene Verhalten selbstkritisch zu prüfen und, wo immer es geht, klimafreundlich zu handeln (Einkauf, Mobilität, Freizeitverhalten, Energieversorgung etc.). Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat sich die Umsetzung der Klimaschutzziele auf die Fahnen geschrieben, das ist noch nicht auf allen Ebenen durchgedrungen. Wir fordern ein rasches und grundlegendes Umsteuern und eine wirkungsvolle Unterstützung der Gemeinden bei klimafreundlichem Handeln und Beschaffen. Die Energiewende in Deutschland hat gezeigt, dass Umsteuern machbar ist und weltweit zur Nachahmung anspornt.

Vorstand der OFFENEN KIRCHE
Evangelische Vereinigung in Württemberg

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