OK-Mitgliederversammlung 2019 am 6. April 2019 in Stuttgart

Anlässlich der vorgesehenen Kürzungen im Bereich des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (KDA) hatte der Vorstand die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier eingeladen, die über die Veränderungen in der Arbeitswelt und deren Auswirkungen für die Gesellschaft referierte. Als Vertreter des KDA stand  Pfr. Karl-Ulrich Gscheidle, Wirtschafts- und Sozialpfarrer der Prälatur Reutlingen, für Nachfragen zur Verfügung. 

OK-Vorstandsmitglied Uli Maier, Vorsitzender der AGMAV, der am Vormittag moderierte, hatte unter den ehrenamtlichen Tätigkeiten von Leni Breymaier deren Mitgliedschaft im Förderverein des schwäbischen Dialekts entdeckt. Sie legte allerdings Wert darauf, dass sie sich um Prostituierte aus Osteuropa kümmere, die besonders nach der Lockerung des Gesetzes zur "Sexarbeit" gnadenlos ausgenutzt würden. Beim Thema "Veränderung und Strukturwandel in der Arbeit" wies sie auf den rasend schnellen Wandel in der Industrie hin und die schrumpfende Tarifbindung. Dadurch entstünde ein dreigeteilter Arbeitsmarkt mit ausbeuterischen Verhältnissen für diejenigen, die nicht zur Kernmannschaft eines Betriebs gehören. 
Sie kritisierte die ortsflexible Arbeit mit Homeoffice der Scheinselbstständigen und besonders das Tagelöhnertum der Osteuropäer, die in den Fleischfabriken Westeuropas arbeiten und ihre Kinder als Euro-Waisen in Moldavien oder anderswo allein lassen, weil die Arbeitsverhältnisse dort noch schlimmer sind. In welchen Branchen künftig mehr Arbeitsplätze abgebaut werden, darüber gingen die Meinungen auseinander. Dass es im Bereich der Elektronik, bei Internet und Forschung mehr werden, war Konsens. "Die zentrale Frage ist: Wem gehört das Geld, das immer noch verdient wird? Wie sieht die gesellschaftliche Verteilung in Zukunft aus?" 
Breymaier plädierte dafür, dass mehr in Bildung und Pflege investiert wird. "Menschliche Zuwendung ist nicht ersetzbar." Und sie fände eine 50:50-Prozent-Teilung der Rente für Männer und Frauen gerecht, auch wenn die einen doppelt so viel Erwerbsarbeit geleistet hätten wie ihre Partner*innen. Die sozialen Sicherungssystem müssten bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und und im Alter greifen, wobei Beamte und Selbstständige in einen Fonds für eine Bürgerversicherung einzahlen sollten. Der Grundkonflikt bestehe also nicht zwischen Alt und Jung, sondern Reich gegen Arm. Und Pfarrer seien als Unterstützer bei Streiks sehr wichtig. Die katholische Kirche setze dafür mehr Betriebsseelsorger ein als die evangelische.

Pfr. Gscheidle beklagte die Entscheidung der Landeskirche, von den nunmehr nur noch vier KDA-Stellen künftig zwei zu streichen beziehungsweise mit anderen Berufsinhabern zu besetzen. Er weitete den Blick auf die Themen Globalisierung und Nachhaltigkeit. Die Ungleichverteilung bei Chancen und Ressourcen werde durch den Klimawandel in manchen Regionen für alle wortwörtlich weggespült. In der Akademie Bad Boll, zu der der KDA gehört, würden auch die Lieferketten bedacht, zum Beispiel bei den Kindern, die in Afrika unter menschenunwürdigen Bedingungen seltene Erden ausgraben. "Auch für sie haben wir eine Sorgfaltspflicht, obwohl die deutsche Gesetzgebung und die europäischen Richtlinien dort nicht wirken." 
Das Konzept für die Zukunft des KDA sehe vor, dass die zwei Personen, die übrig bleiben, in Stuttgart zusammen mit der katholischen Betriebsseelsorge ein Dialogforum bilden und jeweils eine politische und eine gewerkschaftliche Tagung veranstalten. In den Prälaturen können sie dann nur noch exemplarisch mit Betriebsräten, Dekan*innen und Gewerkschaften zusammenkommen. 
"Dabei geht die Arbeit nicht ohne persönliche Beziehungen." Auch er verwies auf die schlechten Arbeitsbedingungen der Osteuropäer, etwa der LKW-Fahrer, und mahnte Gerechtigkeit und Solidarität an. "Kirche muss für alle da sein. Die Botschaft Gottes muss uns zusammenhalten. Wenn das verloren geht, herrscht der Roboter über die Menschen. Dann ist die Freiheit weg." 

In der Diskussion wurde noch der Privatisierungswahnsinn bei Krankenhäusern und öffentlichen Straßen angesprochen sowie der Strukturwandel in der Kohle-Industrie und bei Verkehrskonzepten. Anita Gröh, Synodale der OK, erklärte, dass die Kürzungen beim KDA am Pfarrplan lägen. Die OK habe dafür gekämpft, dass die 16 % der Sonderpfarrstellen erhalten bleiben, habe aber keinen Einfluss darauf, mit welcher Berufsgruppe sie besetzt werden. Das entscheide allein der OKR. Statt in Projekte zu investieren, die die Gesellschaft betreffen, würden immer neue Stellen für Bibelkurse oder spirituelle Zentren eingerichtet. Sie habe den Eindruck, die Landeskirche verkomme zur Sekte. Wenn die Kirchensteuereinnahmen wirklich sänken, gäbe es neue Verteilkämpfe.

Am Nachmittag der Mitgliederversammlung wurden Vorstand und Rechner für ihre Arbeit im vergangenen Jahr entlastet und ein neuer Vorstand gewählt.
Vorsitzende bleibt Erika Schlatter-Ernst, ihr Stellvertreter Dieter Hödl und der Rechner Johannes Dürr.
Zum erweiterten Vorstand gehören in den nächsten zwei Jahren Pamela Barke, Ruth Bauer, Elke Dangelmaier-Vinçon, Matthias Hestermann, Gerlinde Hühn, Dr. Harald Kretschmer und Uli Maier.

Renate Lück

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